Rhythmus

Für seine gesunde Entwicklung braucht das Kind Rhythmus und Wiederholung. Es ist eingebunden in die Kreisläufe der Natur, die sich im Tag-/Nachtrhythmus und in den Jahreszeiten zeigen. Deshalb achten wir im Waldorfkindergarten auf einen geregelten Tagesablauf, in dem das Kind zwischen Wach- und Schlafzeiten und im Wachsein zwischen aktiven und eher passiven Zeiten wechselt. Jeder Tag im Waldorfkindergarten gliedert sich in Zeiten, in denen die Kinder ganz aus ihren eigenen Kräften tätig sind – Freispiel drinnen und draussen – und Zeiten, in denen sie durch die Kindergärtner*in konkret angeregt werden – z.B.  im Reigen, bei den Fingerspielen und im Märchenkreis. So kann ein Atmungsvorgang stattfinden: Einatmen, Phasen des Innehaltens und Aufnehmens wechseln mit Ausatmen, Phasen des Ausströmens und nach außen Agierens ab. Jeder Tag bekommt so seinen Rhythmus.

Jeder Wochentag hat einen kleinen Höhepunkt. Es werden an jedem Tag bestimmte Aktivitäten und ein bestimmtes Frühstück angeboten. Jeder Kindergarten entwickelt dabei seinen eigenen Wochenrhythmus, der für ihn stimmig ist. So könnte zum Beispiel Montag – Wachskneten und Milchreis, Dienstag – Eurythmie und Rohkost mit Knäckebrot, Mittwoch – Brotbacken und Hirsebrei, Donnerstag – Wasserfarbenmalen und Vollkornbrot, Freitag – Wandern und Müsli stattfinden. So bekommt die Woche eine Struktur, die den Kindern Sicherheit und Orientierungshilfe gibt. (“Noch zweimal Wassermaltag, dann hast du Geburtstag.”)

Die Wochen stehen wiederum unter dem Zeichen der Jahreszeiten und der Jahresfeste. Am Wechsel der Jahreszeiten erleben die Kinder die Vorgänge in der Natur in lebendiger und tiefer Weise. Sie spüren die unterschiedlichen Stimmungen im Jahreslauf: Frühling – Erwachen des Lebens und Aufbruch, Sommer – Fülle und Lebenskraft, Herbst – Ernte und Einkehr, Winter – Ruhe und Innerlichkeit. Entsprechend der Jahreszeit wird im Kindergarten der Jahreszeitentisch gestaltet.

Reigen

Ausgewählte Verse, kleine Spiele und Lieder passend zur Jahreszeit werden durch sinnvolle Gesten begleitet und zu einem freien rhythmischen Spiel gestaltet. Durch den Wechsel von Sprache – Gesang – Musik, laut – leise, groß – klein, ruhig – bewegt, erhält der Reigen seinen Spannungsbogen. Die Freude an dem musikalisch-rhythmischen Element überträgt sich auf die Kinder, die nachahmend diese Gesten aufgreifen. Der Reigen pflegt Sprache, Musik und Bewegung und fördert das soziale Miteinander einer Gruppe.

Märchen

Der Märchenkreis am Mittag bildet meistens den Abschluss des Vormittages im Kindergarten. Man setzt sich gemütlich im Stuhlkreis oder auf dem Teppich zusammen, singt Lieder, und die Kindergärtner*in erzählt eine Geschichte oder ein kleines Märchen. Es wird über einen Zeitraum von drei bis vier Wochen die gleiche Geschichte wortwörtlich erzählt. Die Kinder leben sich in den Inhalt ein und genießen die Wiederholung. Kleine Sprüche, Märchen und Geschichten  fördern das Sprachgefühl und Sprachverständnis. Zu besonderen Festen oder der Jahreszeit entsprechend erarbeiten sich die Kindergärtner*innen Puppenspiele, die den Kindern in dieser Zeit gezeigt werden. Auch hier wird der Text wortwörtlich erzählt, damit das Kind in Sprache und Geschehen eintauchen kann.

Den Satz von Bruno Bettelheim “Kinder brauchen Märchen” könnte man abwandeln in “Kinder brauchen Verse, Geschichten und Märchen”. Bei den ganz Kleinen erlebt man ihre Faszination für Fingerspiele und Kniereiter. Dabei kommt es nicht so sehr auf den Inhalt des Textes, als vielmehr auf seine rhythmische Gestaltung an.

Im Kindergartenalter lieben Kinder rhythmische Geschichten, also Geschichten, in denen derselbe Sachverhalt immer wieder wiederholt und erweitert wird, oder zum Schluss in umgekehrter Reihenfolge wieder aufgelöst wird.

Die Geschichten regen die Gedächtnisleistung enorm an, ohne das Gehirn einseitig intellektuell zu belasten. Denn kleine Kinder lernen nicht durch logische Zusammenhänge, sondern durch Rhythmus und Klang.

Jahresfeste

Die Jahresfeste haben ihren Bezug zu den Jahreszeiten und zu bestimmten religiösen Ereignissen. Die Stimmung der Jahreszeiten und Jahresfeste spiegelt sich in der Raumgestaltung (z.B. Jahreszeitentisch, Wollwandbild, Blumenschmuck), den Liedern und Versen im Reigen und in der Auswahl der Geschichten im Märchenkreis wieder.

Im Waldorfkindergarten wird Erntedankzeit, Michaeli, St. Martin, Advent, die Heiligen Drei Könige, Fasching, Ostern, Pfingsten und Johanni gefeiert. Das Kindergartenjahr endet mit dem Abschlussfest der Schulanfänger. Der Waldorfkindergarten ist christlich geprägt, aber nicht konfessionell gebunden.

In anderen Ländern und Kulturen werden die Impulse der Waldorfpädagogik gemäß der lokal geprägten Kultur umgesetzt. Das christliche Element lebt dort in der Akzeptanz der anderen Religionen und Kulturen. Jedes Land und jede Kultur findet ihren eigenen Weg, die Waldorfpädagogik mit ihren Traditionen in Übereinstimmung zu bringen, so gibt es zum Beispiel jüdische, muslimische und indianische Waldorfkindergärten.

Raumgestaltung

In der Raumgestaltung finden die Kinder Klarheit und Ordnung und erleben ein wohliges Geborgenheitsgefühl. Aus dem Gefühl der Geborgenheit heraus kann das Kind schöpferisch tätig werden. Alle Waldorfkindergärten sind individuell gestaltet und doch kann man verschiedene Merkmale fast überall wiederfinden. 

Die Wände sind meistens zart lasiert. Vorhänge und Spieltücher passen sich harmonisch in dieses Gefüge weicher und lebendiger Farben ein. Die insgesamt behutsame Farbgebung drängt sich nicht auf und ist nicht eindeutig und bestimmend, wie es eine deckende kräftige Farbe sein kann.

Die Möbel sind aus Holz und die Spielsachen bestehen weitgehend aus Naturmaterialien, damit die Eindrücke, die das Kind von der Welt erhält, ursprünglich sind. Ein Bauklotz aus einem Aststück „erklärt“ seine Herkunft unmittelbar. Ein Baustein aus Kunststoff kann das nicht.

Ein Waldorfkindergarten ist klar und übersichtlich gegliedert. Jedes Spielzeug hat seinen Platz. Diese äußere Ordnung gibt den Kindern Sicherheit und Halt. Der ganze Raum lebt in der Stimmung der entsprechenden Jahres- oder Festzeit. Auf dem Jahreszeitentisch wird das Geschehen in der Natur versinnbildlicht.

Viele Waldorfkindergärten können sich einen eigenen Garten anlegen. Dabei wird darauf geachtet, dass vielfältige Sinneseindrücke entstehen können, z.B. durch eine Sandkiste, einen Wasserspielplatz, einer Schaukel, einer großen Rasenfläche, Büsche und Bäume. Zusätzlich kann die Gartenarbeit von Kindergärtner*innen und Eltern ein Vorbild für Nachahmung der Arbeit und Achtung der Natur sein.

Spiel und Spielzeug

„Sieben oder acht Jahre des Sichbewegens und Spielens sind notwendig, um einem Kind die sensomotorische Fähigkeit zu vermitteln, die als Grundlage für seine intellektuelle, soziale und persönliche Entwicklung dienen kann“
fand die Entwicklungspsychologin Jean Ayres* heraus.

Das Kind will mit allen Sinnen erleben, sich mit dem ganzen Körper bewegen, mit Händen und Füßen tätig sein, seine Umwelt ergreifen, begreifen. Die schönsten Spiele entstehen dort, wo es “nichts” zum Spielen gibt, das Kind aber sinnlich stark angeregt wird, z.B. in der Natur. Am Strand mit Wasser, Sand und Muscheln wird endlos Sandgebäck fabriziert, Muschelsuppe gekocht, oder es werden Sandburgen gebaut. Im Kaufladen gibt es verschiedene Muscheln, Steine und Algen zu kaufen. Oder im Wald, wo man nicht nur Verstecken spielen kann, sondern wo aus Ästen und Stöcken Zelte und Hütten wachsen und wo aus Rinden, Moos und Blumen kleine Schiffe entstehen.

Im Waldorfkindergarten gibt es, durch die Auswahl der Spielmaterialien, eine vielfältige Sinnesanregung. Das kleine Kind reagiert nicht über seinen Verstand, sondern unmittelbar körperlich und gefühlsmäßig auf alle Sinneseindrücke. Ein komplexer Sinneseindruck, der viele Qualitäten aufweist, führt zu einer differenzierten Vernetzung im Gehirn, wobei auch die Gefühle beteiligt sind. Dies ist für die späteren kognitiven und sozialen Fähigkeiten von großer Bedeutung.

Im Freispiel darf ein schöpferisches Chaos entstehen, da Phantasie Freiräume und Anregung durch das Zufällige braucht. Nichts ist ausgestaltet, alles kann sich von einem Augenblick zum nächsten verändern: ein Stückchen Holz, gerade noch als Bügeleisen dringend benötigt, wird zum Telefon. Das kleine Kind wird noch vollkommen durch das vorhandene Spielmaterial angeregt, die größeren Kinder haben bereits eigene Ideen und Vorstellungen und suchen sich gezielt ihre Materialien zusammen und die Mittleren entdecken die Rollenspiele. In der Spielentwicklung durchlaufen auch die Phantasiekräfte eine Metamorphose. Wenn sie gepflegt werden und sich entwickeln dürfen, bilden sie später die Grundlage für kreatives lebendiges Denken.

Das Spielzeug im Waldorfkindergarten ist schnell aufgezählt, denn es handelt sich in der Regel um einfache Gegenstände, die die Phantasie der Kinder anregen sollen. Es gibt Tücher, Bretter, Holzklötze, Körbe, Muscheln, Kastanien, Obstkerne, Eicheln, Steine, Tannenzapfen, ein paar gestrickte oder geschnitzte Tiere, einige einfache Stoffpuppen, eine Einrichtung für die Puppenstube, Nadel, Faden, Wolle, Spieleständer, Stühle und Tische. Dies ist sozusagen das “Urmaterial”, aus dem sich fast alles herstellen lässt.

Der Tannenzapfen dient z.B. als Baum in einem Puppentheaterspiel, oder als Spritze beim Arzt, als Gemüse im Kaufladen und als Reiseproviant für unterwegs. Spieltücher finden ihre Verwendung für Verkleidungen aller Art, Häuserwände und -eingänge, Verbände für Kranke, als Fallschirm, als Kissen, als Decke oder ein neues Puppenkind entsteht durch fünf Knoten im Tuch. Selbst ein Christkind wurde in der Weihnachtszeit aus solch einem Tuch hergestellt und von den Kindern mit einer rührenden Ehrfurcht im Krippenspiel betreut.

Ernährung

Bei der Ernährung wird auf Gesundheit und Ausgewogenheit geachtet. Es ist sinnvoll, den Menschen in seiner Gesamtheit anzusprechen und Einseitigkeiten zu vermeiden. Wo es möglich ist, werden Produkte aus biologisch-dynamischer Landwirtschaft (Demeter) verwendet. Einerseits, um einen Beitrag zur Gesundhaltung der Erde beizutragen und andererseits, um eine Grundlage für eine gesunde Ernährung der Kinder zu schaffen.